Das Städtchen Hilsbach, unweit Sinsheim, liegt reizvoll an einem der typischen sanften Kraichgau-Hügel. Darin allerdings beinahe schon das einzig Lobenswerte, spricht man von Hilsbach. Das Städtchen mit weit zurückreichender, wechselhafter Geschichte, erstmals bereits im Jahre 798 erwähnt und ab 1310 schon Stadt genannt, hat die Stürme der Zeit wohl als altehrwürdiger Ort, keineswegs jedoch in alter Schönheit überdauert.
Mag als ein weiterer Trost die noch erhaltene Winkeligkeit des Stadtgrundrisses gelten, welcher freilich von nichtssagender historischer Bebauung des 19. Jahrhunderts und ratlosem Gebaue unserer Tage ausgefüllt. Dazwischen außerdem immerhin noch drei Bauwerke, die eingehenderer Betrachtung wert. Zunächst die MICHAELSKIRCHE, mit schönem gotischem Chor aus gelbem Sandstein (aus dem Jahre 1300) — der Rest der Kirche entstammt einem Neubau des Jahres 1685. Insgesamt ein gefälliges Bild, auch ob der ansteigenden Topographie, die der Kirche beachtliche Fernwirkung einbringt. In der Nähe der Kirche die ehemalige AMTSKELLEREI, erbaut in den Jahren 1732/33: ein einfacher barocker Bau, immerhin aber mit sorgfältig gearbeiteten Öffnungsrahmungen, typische Schwingungen und Ausladungen der "lustvollen" Zeit.
Ein Schicksal, das offenkundig um Ausgleich bemüht, verlieh der Stadt in Gestalt des dritten Bauwerks eine echte Besonderheit. Das sogenannte WACHTHAUS, 1823 in jetzige Gestalt gebracht, wohl aber um Jahrhunderte älter, kann für sich in Anspruch nehmen — obwohl man's kaum glauben will — das schönste erhaltene Stadt-Wachhaus in ganz Baden zu sein. Innerhalb des traurigen Ortes auf ein solches Bauwerk zu treffen nimmt sich umso ergreifender aus, weil dasselbe ob seiner Schönheit förmlich heraussticht. Hauptcharakterzug eindeutig die offene Säulenvorhalle: sechs Säulen einer phantasievollen und keineswegs klassischen Ordnung (die mehrfach abgestuften Kapitelle ähneln am ehesten noch Würfelkapitellen — dergleichen merkwürdige habe ich nirgendwo sonst gefunden) tragen ein einfaches Walmdach, das auf der anderen Seite auf einem gleichfalls einfachen, wie die Säulen sandsteinernen Block aufsitzt. Im Ganzen vor allem von urwüchsiger, kraftvoller Gestalt und weniger von künstlerischem Feinsinn bestimmt.
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Der historischen Bauten sind nur noch wenige in Hilsbach und werden von den Bauten des 20. Jahrhunderts, gleich ob von rücksichtslosem oder hilflos angepasstem Modernismus zahlenmäßig weit in den Schatten gestellt. Der Stil unserer Tage kann hier nunmehr seit 50 Jahren nach Belieben schalten und walten. Suche man sich doch die Stile aus: Romanik, Gotik, Renaissance, Barock oder Klassizismus und durchaus noch Romantizismus oder Historismus. Welcher Stil auch immer mit gleicher Anzahl Bauwerke, er würde für eine Sehenswürdigkeit nach der anderen gesorgt haben. Und der Modernismus? Nicht für eine einzige! Oder welches Beispiel wollte man ernsthaft anführen? Das ist die offenkundige Scheidemarke, die man einfachst begreifen kann.
Der Modernismus hat als Baustil nicht im Ansatze geleistet, was allen anderen Stilen billigste Selbstverständlichkeit. Er hat offen und vor aller Welt den Wert der Kunst geleugnet. Er stampfte einen obskuren Kanon aus dem Boden, plappernd von Funktionalität und zeitgemäßen Eindruck, als wären sie eigene Erfindung, schlimmer noch, als seien sie alleine maßgebend für das Gelingen unserer gebauten Umwelt. Und eines musste auf jeden Fall außen vor bleiben: die gewachsenen Gestaltungsspielregeln, die über Jahrhunderte, nein Jahrtausende maßgebend. Lassen wir Wilhelm von Humboldt sprechen: "Die Erweiterung unseres Daseins und unseres Wissens [falls sie interessiert!?] ist historisch nur möglich durch die Betrachtung des früheres Daseins." Der Modernismus musste einfach scheitern.
Aber darüber gelangt er tatsächlich zum zeitgemäßen Ausdruck. Die Religion als gesellschaftliche Wertevermittlerin abgeschafft, der Vernunftbegriff (spätestens) seit Kant von Philosophengeneration zu Philosophengeneration weiter ausgehöhlt, der Mensch als sinnerfülltes Wesen demnächst Auslaufmodell, ein (genetisch optimierter) Automat, programmiert nur noch auf Einlösung physischer Bedürfnisse — jene Entgeistung (Marx, du Fuchs, du gewinnst ja doch noch!), sie findet ihre 1:1-Entsprechung in einem Gebaue, das jeden höheren Wert von sich geworfen hat, die Kunst gleich einem Joch abschüttelte.
Der Mensch wie seine Gebäude stehen "nackt" da, Sinn-los. Die Ratlosigkeit, die sich dem einen oder anderem darüber doch noch entbreitet, vielleicht einer Kultur letzte Hoffnung.
Quellen 1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage www.hilsbach.de
4) örtliche Informationstafeln
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