Baukunst in Baden
  Villingen
 


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Welch' Odem durchweht diese Stadt Villingen? In der Abgeschiedenheit zwischen Schwarzwald und Baar-Hochebene erwuchs hier wohl ein Geheimnis, voller Kraft und Selbstvertrauen; ein Geist wie er nirgend sonst gesehen, nüchtern wie zäh; und, wenn man's annehmen will, spartanisch, geradezu heldenhaft! Welch' Worte!  Aber lesen Sie selbst; sogleich werden Sie auf eine der bemerkenswertesten Geschichten Badens treffen!
     1633/34. 15 Jahre schon trat der 30jährige Krieg alles in den Boden. Die protestantische Heeresmacht auf ihrem lange Zeit wie unaufhaltsam scheinenden Siegeszug hatte auch Baden überrollt. Nun stand sie erfolgesgewiss vor Villingen, seinerzeit österreichisch, katholisch, eine Stadt mittlerer Größe und von regionaler Bedeutung. Sie besaß zwar zwei Mauerringe, jedoch nur von mittelalterlicher Manier. Auf den Belagerer wartete wohl einige Arbeit — so sich die Stadt nicht ergab — die Eroberung aber war nichts als eine Frage der Zeit (und, wie die Erfahrung bei Belagerungen von Städten dieser Größenordnung billig nahe legte, natürlich keiner allzu langen). Und dennoch, zur großen Verwunderung der Angreifer hielt die Stadt dagegen, die Bürgerschaft, verstärkt nur um eine geringe Anzahl regulärer Soldaten entschieden stand — so zumindest das erste Mal. Glücklich genug, wie sich die Belagerer denn doch überrascht zuraunten; folgte also der zweite Anlauf. Wiederum aber blieben die Mauern ob erbittertster Gegenwehr unüberwindlich. Nun aber machte sich beim erfolglosen Angreifer Bitterkeit und arger Verdruss breit — mit solcher Widerstandskraft hätte man niemals gerechnet. Wutschnaubend 1635 der dritte Angriff — alle nochmals verstärkte Entschlossenheit jedoch ward ein weiteres Mal zunichte durch eine eben noch größere Unbeugsamkeit der Eingeschlossenen. Verdattert und schmählich wie selten im großen Krieg musste sich die siegessichere Heeresmacht zurückziehen. Man hatte die Stadt, ihre Bewohner reichlich unterschätzt, genauso wie die erst auf den zweiten Blick überaus glückliche Lage des Ortes. Die sollte auch dem nächsten Angreifer zum Verhängnis werden.
     1704. Das wiederum 15. Jahr einer furchtbaren Zerstörung, der Pfälzische Erbfolgekrieg! Des Sonnenkönigs Marschall Tallard und seine Offiziere warfen wohl recht mitleidige Blicke auf die nunmehr vollends veraltete Befestigung der Stadt. Gewaltige Festungen (Mannheim, Phillipsburg) hatte man erobert, mittelalterliche Städte wie Villingen in Unzahl wie lästiges Ungeziefer einfach zertreten. Je näher man kam, desto mehr aber begannen die Probleme. Villingen nämlich lag in sumpfiger Umgebung, war nur durch wenige schmale Zugänge erreichbar. Wie einst die letzten weströmischen Kaiser ihre Residenz klug nach Ravenna verlegten, weil die Stadt von undurchdringlichen Sümpfen umgeben, die einen Angriff von selbst zum Scheitern verurteilten, so konnte sich auch Villingen auf jene hilfreichen Unbilden der Natur verlassen. Tallard freilich tat was er konnte, setzte die Stadt unter starken Kanonen-Beschuss, im Vorsatze die störrische Bürgerschaft zu zermürben.

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Das aber schweißte die Villinger nur weiter zusammen; eine Aufgabe jedenfalls kam nicht in Frage. Die Söhne der Stadt, die Heldentaten ihrer Großväter im Ohr, waren gewillt durch entschiedenen Widerstand ein weiteres Wunder herbeizuzwingen. Und tatsächlich, das Unglaubliche, in den Augen des Belagerers unendlich Lächerliche, glückte auch dieses Mal — der Angreifer, bedingt auch durch den allgemeinen Kriegsverlauf, musste wiederum erfolglos wie schmählich abziehen. Fürwahr auch dies ein Wunder und vielleicht die kurioseste Geschichte des Pfälzer Erbfolgekrieges — im übrigen in leuchtendem Gegensatz zur Verteidigung der kurpfälzischen Hauptstadt Heidelberg, der vielleicht bedeutendste Eroberung dieses Krieges in Baden, welche durch haarsträubende Unentschlossenheit einfachste Beute wurde.
     Um 1850. Die vielleicht merkwürdigste aller Zerstörungswellen rollte durch Baden und ganz Deutschland. Die Stadtbefestigungen wurden allerorten als beengend empfunden — aufgrund des Fortschritts der Waffentechnik konnte man ihnen ohnehin nicht mehr viel zutrauen; weil außerdem der Geist der Romantik wallte, der Natur und Stadt zur Einheit bringen wollte, wurden die Jahrhunderte alten Befestigungen nur allzu leichtfertig geschliffen. Was im Falle der mitunter tatsächlich einschnürenden Stadtmauern ohne weiteres nachvollziehbar, wurde im Blick auf die Tore und Türme, die immer auch zu den wertvollsten und ältesten Bauten der Stadt zählten, wie nur wenige Bauten geeignet waren um mit Stolz auf die Leistungen der Vorfahren zu blicken, zu einem großem Schaden. Nicht wenige Städte verloren mit ihrer mittelalterlichen Türme-Silhouette erheblich an Identität. Wenige Jahrzehnte später lag dieser Verlust offen am Tage, und so befleißigte sich die Neo-Renaissance nur allzu gerne im Bau von Türmen und Türmchen an privaten wie öffentlichen Bauten. Entsetzt blickte man auf jene Zerstörungswut - und spätestens jetzt wurde klar, dass man seinerzeit einer aus der Luft gegriffenen Mode anheim gefallen war. Alleine, nun war alles zu spät, der bittere Verlust unwiederbringlich.
     Auch in Villingen war die Abtragung der Mauern, Türme und Tore längst beschlossene Sache. Beschlossene Sache wie eben auch die Eroberung im 30jährigen oder im Pfälzischen Erbfolgekrieg. Kurzum, auch diesmal widerstand die Stadt, nurmehr das nächste Wunder, über dass man sich ungläubig die Augen reiben will. Zwar viel tatsächlich einiges der Abrisswut zum Opfer (äußerer Mauerring, Vortore, ein Stadttor), wie ja auch die Belagerungen ihren Tribut forderten, unter dem Strich aber blieb das Wichtigste erhalten. Keine andere Stadt Badens besitzt noch solch große Anteile der ehemaligen Stadtbefestigung: drei Stadttore, zwei große und zwei kleinere Türme, weite Strecken der inneren Stadtmauer — alles zum größten Nutzen des Stadtbildes, wir kommen noch darauf zurück. 

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Ab 1950. Zunächst war Villingen glücklich den Luftattacken des Zweiten Weltkrieges entgangen. Als Stadt mittlerer Größe hätte sie ohne weiteres der Alliierten Vergeltung treffen können. Nun aber drohte schon die nächste Bedrängnis, für das Stadtbild kaum weniger verhängnisvoll, ihres Zeichens auch eine Kriegserklärung. Der Modernismus polternd und schnaubend lies nirgendwo ein gutes Haar am historischen Stadtbild: wertlos, kitschig, unhygienisch (so argumentierte man tatsächlich!), unfunktional, und ich weiß nicht welch' Unsinn noch. Was nicht vom Bombardement hinweggefegt sollte nun die Planierraupe erledigen. Viele Stadtobere fielen darauf herein; manche wehrten sich zumindest im Hinblick auf die wertvollsten Gebäude der Stadt — in Karlsruhe und Freiburg zum Beispiel wurden die für das Stadtbild wichtigsten Gebäude wieder aufgebaut; welch' Spott mussten da die Verantwortungsträger von Seiten der modernistischen Architektenschaft ertragen, "ewiggestrig" zum Beispiel war noch harmlos.
     Villingen aber wehrte sich wieder verbissen und wieder konnte die Stadt gerettet werden. Auf der Südostseite zwar, wo auch ein Stadttor (das einzige) abgerissen, erkämpfte sich der Modernismus einen Brückenkopf, wirkliches Eindringen aber ward ihm verwehrt. Drei Jahrzehnte modernistische Indoktrination, aber auch drei Jahrzehnte modernistisches Gebaue rund um die Altstadt, die eine Vergleichung nur allzu leicht machte. In den 1980er Jahren hatte der Stil der neuen Zeit endgültig ausgespielt. Die Villinger Bürgerschaft machte sich an die Sanierung der heruntergekommenen Altstadt; die Folge: ein baulicher Zusammenhang von großer Schönheit. Unübersehbar, und ein Werk der historischen Stile — der neue Baustil, den man in den um das historische Villingen gelegten Speckgürteln ja sattsam studieren konnte, er darf in Ermangelung von Alternativen außerhalb in den Wohn- und Industrieviertel wohl weiter wursteln, im Zentrum aber hat er sich zurückzunehmen.
     Der nächste Sieg, und weil wiederum gegen die übermächtigen Zeichen der Zeit erkämpft tatsächlich das nächste Wunder. Ein jeder dieser vier Siege wurde durch eine wunderliche Zähigkeit errungen, eine Zähigkeit über die manche Generation vielleicht selbst verwundert. Der Skeptiker mag darin gewiss Starköpfigkeit erblicken, aber wie sich der Skeptizismus immer nur in Destruktion gefällt, sich letztlich im Nichts oder gähnender Langeweile verliert, so auch in diesem Falle. Villingen hat immer genau das Richtige getan, alles andere ist Spekulation.
     Soll die (ausgesuchte) historische Übersicht durch zwei wichtige Ergänzungen abgeschlossen werden. Zunächst die erste schriftliche Erwähnung, welche im Jahre 817 ausgestellt. Wichtiger aber das Jahr 999 (markant genug!), als Graf Berthold aus dem Stadtgründer-Geschlecht der Zähringer als erster weltlicher Herr Deutschlands überhaupt das Markt-, Münz- und Zollrecht erwirkte. Ein ungeheuerlicher Erfolg und genau das rechte Fundament für sie faszinierende Historie Villingens.

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Von Villingens erstaunlicher Standhaftigkeit bei Belagerungen wurde berichtet, das bedeutet allerdings nicht, dass die Stadt nicht doch in gegnerische Hände fiel. Die Übergabe am Ende des Zweiten Weltkrieges ist so offenkundig wie keineswegs zu bedauern. Zwangsläufig war auch die Übergabe in napoleonischer Zeit, wie im Jahre 1744, als im Zuge des österreichischen Erbfolgekrieges die Tore freiwillig geöffnet wurden. Alle drei Ereignisse standen in Zusammenhängen, welche einen Alleingang Villingens von alleine unterbanden. Es sei denn natürlich, die Villinger wären tatsächlich von starköpfiger Natur — womit übrigens Skeptiker ihre Zweifel endgültig begraben müssen! Es ist halt einfach so, auch wenn man's nicht glauben mag, die Villinger taten stets das Richtige — ein Lob, wie es seltener ausgesprochen kaum sein könnte.
    
Nun aber zur schönsten Betachtung Villingens, zum Stadtaussehen selbst, welches wie immer die Historie des Ortes, auch den Charakter ihrer Bewohnerschaft abzubilden vermag. Wie dargelegt besaß die Stadt stets regionale bis überregionale Bedeutung, außerdem wurde sie kein einziges Mal umfassend zerstört — genau also die Mischung, die von selbst das schönste Stadtbild kreiert.
     Villingen liegt in der sogenannten Baar auf einer Art hügeligem Plateau, was durchaus von schönem Ansehen, jedoch ohne im besonderen zu ergreifen. Außerdem uferte die Stadt in den letzten Jahrzehnten stark genug aus, wobei wie allenthalben die Ränder zerfransten und sehr unbefriedigend in die Landschaft reinstolpern. Was aber immer noch von Reiz, aus günstiger Perspektive, das turmreiche Profil des Zentrums, welches also das historische Villingen zu erkennen gibt.
     Nähert man sich schließlich dem Altort, so lässt sich der große ästhetische Reiz der über weite Strecken erhaltenen Stadtmauer leicht gewahren. Der Altort nämlich separiert sich ausgezeichnet von den diversen Stadterweiterungen des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts. Während um den Kern also nur Unerbauliches, wird das Schöne auf diese Weise hervorgehoben, ja bestmöglich betont. Gleich einem Lächeln aus anonymer Masse heraus — und wie man hier das Drumherum in den Hintergrund verbannt, so auch im Angesichte der außerdem noch ansehnlich von einer Parkanlage in der Gestalt eines breiten Streifens umgebenen Altstadt. Bedenke man zudem die Monumentalität der Befestigungsmauern, die von selbst erhabene Gefühle weckt, erst recht weil so der Übergang in die historische Stadt klar definiert. Wählt man dann noch einen der drei hoch aufragenden Stadttor-Türme, nimmt sich das Betreten des überlieferten Stadtkörpers als bewusster Akt gar trefflich aus.
     Wähle man ganz unbedingt eines der drei Stadttore, nur auf diese Weise nämlich betritt man, was gewiss für den ersten Eindruck am vorteilhaftesten, die beiden kräftigen Hauptadern des Stadtgrundrisses. Wie einst Heinrich von Kleist über Karlsruhe "Die Stadt ist klar und lichtvoll wie eine Regel", so ruft man auch Villingen alsbald zu. Jene Hauptadern nämlich sind Geraden (nur unwesentlich gekurvt), streben, sich gegenseitig halbierend, auch noch im rechten Winkel aufeinander zu — wie überhaupt auch die anderen Straßen und Gassen vornehmlich gerade und senkrecht zueinander.

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Sich windende Wege dagegen, welche dem Auge immer reizvoller, besitzen Ausnahmestatus. Kurzum das System der Erschließung trägt eine Nüchternheit, durchaus eine Trockenheit. Was modernen Orten schnell zum bestens bekannten Schaden, lässt hier aber keine Zweifel aufkommen, weil hier nämlich die Straßen und Plätze von guten bis ausgezeichneten Bauwerken gesäumt. Ein markantes Bild also entbreitet sich, eine Übersichtlichkeit, Nachvollziehbarkeit der Anlage, die dank der trefflichen Architektur der Bauwerke nur von positiver Wirkung.
     Denke man nun aber nicht, die Gebäude würden ihre Fassaden in Pracht und Überschwang präsentieren. Vielmehr findet die Zurückhaltung der Anlage durchaus ihr Echo im Aussehen der Gebäude. Villingens Bauwerke, auch die schönsten unter ihnen, geben sich immer maßvoll, selten nur ausgelassen. Alles strahlt, auch wenn's ein wenig pathetisch klingt, eine Aufrichtigkeit aus. Der Geist der Bewohner, so also hat er sich auch in der Stadtgestalt abgebildet. Wissend um die Bürden des Lebens, griff man zu zurückhaltender, kühl berechnender Haltung, welche unter den Bewährungen vorsichtig zu weiterer Blüte erwuchs. Nirgendwo ein Zuviel, aber auch nirgendwo ein Zuwenig, kurzum das erfolgreiche Ausloten der Möglichkeiten. So jedenfalls das Aussehen Stadt; kein Raum für Verspieltheiten, gewiss aber für die Baukunst.
     Wie die Bürger die zahlreichen Drangsale nur als verschworene Einheit überstehen konnten, so auch das vor Augen stehende Bild. Erwarte man von Villingen also nicht die Lebendigkeit Weinheims, Gengenbachs oder Wertheims; selbstbewusst auf gleicher Augenhöhe mit den schönsten der mittelgroßen Städte Badens, führt Villingen den Gegensatz, den Wert der Homogenität. Zeigen jene Städte den munteren Wechsel der Stile, vor allem aber den Kontrast Fachwerk zu verputzten Fassaden, so erscheint Villingen wie aus einem Guss, eben als eine homogene Einheit.
     Ob ihrer Originalität, der Schönheit der mit ihr verbundenen Bauwerke, verdienen schon die beiden Hauptachsen großes Lob. In ihrer Eigenart zählen sie zweifellos zu den besonderen Stadtraum-Formen Badens, ja Deutschlands. Was sie nun zuvörderst als einen schönen Raum ausweist, besorgt zunächst die angenehme Breite der beiden Straßen und natürlich ihrer Ausweisung als Fußgängerzone, da nur der zwanglos erlebbare Raum auch ein erstrebenswerter. 
     Dann aber, nicht weniger wichtig, die erhaltenen STADTTORE, die den Straßen sichere Endpunkte verleihen, den Raum nicht in der Perspektive verlieren, sondern dem Auge angenehm eine Fassung schenken. So jedenfalls in dreien der vier Fälle. Ein Tor nämlich, das Niedere Tor, wurde abgerissen, was immerhin von Vorteil um sogleich zu zeigen, wie`s gerade nicht sein soll.

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Jener Gedanke der Homogenität, er machte auch vor den drei Tortürmen nicht halt. Entsprechend genau muss man hinschauen um Unterschiede zu erkennen. Alle drei freilich sind von großer Schönheit, die sie neben der reizvollen stehenden Proportion und vertikaler Wirkrichtung, auch der mächtigen Eckrustizierung verdanken. Die hohen Torbögen, zumeist rund, zum Teil auch spitzbogig, wurden genau zwischen jene Rustizierungen gepasst.
     Die straßenbegleitende Bebauung, beinahe durchweg noch historisch, hält sich zumeist zurück, umso stärker die Torbauten, aber auch eigene Besonderheiten ins Licht stellend. Letztere werden durch fünf Exemplare ausgewiesen, worunter gleich drei (ehemalige) Klöster: am BICKENTOR ein noch heute tätiger Schulorden im URSULINENKLOSTER, ein langgestreckter Barockbau mit prächtigem Portal — die KLOSTERKIRCHE DER KAPUZINER am abgegangenen Niederen Tor, ein kleines Renaissance-Gebäu mit schön geschweiftem Giebel — schließlich das FRANZISKANER-KLOSTER beim RIETTOR, welches ein wenig von der Straße abgerückt vor allem Gotik des 13. Jahrhunderts verheißt. Die beiden anderen Gebäude sind Bürgerbauten aus Zeiten der Renaissance, ja zwei ausgezeichnete Vertreter des Steinbaus dieser Stilepoche in Baden. Ersteres steht direkt an der Kreuzung: disziplinierte Fassade (viergeschossig), schmuckvoll, mit Heiligenfigur und lustigem kleinen Erker. Das zweite (in Kreuzungsnähe), aus rotem Sandstein, besitzt noch größere Schönheit; hier dreht sich alles um einen großen Erker, welcher über zwei Fensterbänder formal geschickt an die Fassade gebunden (lernte doch der Modernismus solchen Umgang mit dem ihm so teuren Fensterband, anstatt ihn überall wenig reflektiert um die Fassaden zu rollen!).
     Noch vor dem markanten zentralen Straßenraum, verdient der anmutige MÜNSTERPLATZ die Einreihung in die ergreifendsten Stadtraum-Erlebnisse Badens. Auch er von nüchterner, hier rechteckiger Grundform; auch er von ruhigen und ausgezeichneten Bauwerken gebildet.

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Als erstes natürlich das MÜNSTER selbst, das lustig über den Platz "schwimmt". Genannt "Unserer Lieben Frau" stammen die ältesten Teile noch aus dem 12. Jahrhundert, womit das Münster ältestes Bauwerk der Stadt. Jüngere Partie zeigen Gotik und Barock. Wenngleich das Äußere nur wenig ursprüngliche, romanische Details zeigt, so immerhin noch die Grundform der dreischiffigen Basilika.
     Die romanische basilikale Ausrichtung, welche Grundlage bei vielen Stadtkirchen Badens, hat sich nur selten noch in dieser klaren Ausführung erhalten. Die meisten nämlich wurden umfangreich gotisiert, eine Tendenz, die wohl auch nach dieser Basilika griff, jedoch nur in Gestalt der beiden Türme und des Chores (der hinteren Partie der Kirche). Letzterer also mit Strebepfeilern und langen Maßwerk-Fenster. Die schlanken, achteckigen, nicht allzu hohen Türme gefallen bei nicht identischer Ausführung durch die kunstvollen Spitzen, so von selbst zu einem Wahrzeichen Villingens aufgestiegen. Die Barockisierung des 18. Jahrhunderts nahm sich, überreich ausschmückend vor allem das Innenleben der Kirche; im Äußeren glücklich zurückhaltend wurden die Fenster der Längsfassaden der drei Schiffe abgeändert. Dem romanischen Detail, dank ihrer bewundernswerten Ausführung, verblieben die wichtigsten Öffnungen, die Portale. Im Ganzen eine der schönsten Kirchen Badens.
     Die den Platz umstellenden Gebäude, dreistöckig in der Regel, gelangten eingedenk des lukrativen Standortes zu durchgängig edlerer Ausführung als in anderen Stadtteilen. Die meisten Häuser zeigen Renaissance in Form verputzter Steinbauten, einfache Lochfassaden beinahe ohne jeden Schmuck, jedoch mit stets sorgfältiger Ausbildung der Öffnungsrahmungen. Gleich mehrere Gebäude verdienten eigene Erwähnung, um aber nicht vollends auszuschweifen beschränke ich auf das ALTE RATHAUS. Erbaut im Jahre 1306, nahm es 1536 einen umfassenden Umbau hin, der ihm jedoch die gotischen Spitzbögen im Erdgeschoss beließ — alles andere zeigt Renaissance. Beeindruckend die Ruhe der Platzfassade, der Treppengiebel mit klug verteilten Fenstern, am meisten vielleicht das Fensterband, welches geschickt das Hauptgeschoss betont (auch hier könnte der modernistische, mit Fensterbändern um sich werfende Planer Lektionen nehmen!).

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Andere Straßen und Plätze können hier gleichfalls nicht eigens unter die Lupe genommen werden. Für sie aber gilt das bisher gesagte — alle Wirkungen werden durch homogene historische Bauten (16.-19. Jahrhundert) erzielt, immer überwiegt ein kleinteiliger aber ruhiger Eindruck, immer stehen auch herausragende Bauten bereit, der Ruhe denn den notwendigen Esprit einzuhauchen.
     Letztere immerhin, die noch verbliebenen großartigen Bauwerke, müssen unbedingt näher gebracht werden. An der westlichen Stadtmauer steht das alte BENEDIKTINER-ABTEI, eines der wenigen Beispiele, die via KLOSTERKIRCHE barocken Überschwang einführten. Der Kirchturm mit seiner pilasterreichen Spitze und Zwiebeldach gefällt  gerade im Zusammenhang mit der Stadtmauer. Die Eingangsseite zeigt hohe Pilaster toskanischer Ordnung, darüber Segmentbogen-, dann Dreiecksgiebel, auch ein prachtvolles Portal. Den Entwurf lieferte der Klosterarchitekt im Raume des späteren Mittel- und Südbaden schlechthin: Peter Thumb, Vertreter der in ganz Süddeutschland und der Schweiz einflussreichen Vorarlberger Schule.
     Verweilen wir zunächst noch bei den ehemaligen Klöstern, nochmals das der Franziskaner, der oben ausgesparten FRANZISKANER-KIRCHE wegen, in den Blick nehmend. Sie nämlich, turmlos, aber von auffälliger roter Farbe, schiebt sich ungemein effektvoll in den Stadtkörper; die Strebepfeiler und tiefen Maßwerkfenster schließlich verleihen ihr reizvolle Plastizität. Bleibt die ehemalige KIRCHE DES JOHANNITER-ORDENS. Ihre Ursprünge reichen bis in das 13. Jahrhundert; am schönsten aber der seitlich angeordnete Campanile, gotisch und mit wehrhaftem Charakter. Der Unterbau, geschlossen, weist noch heute beinahe nur Schießscharten auf; darüber das feinere Glockengeschoss: vierseitig fahren Giebel hoch, das Dach dagegen niedrig. Im ganzen ein gefälliger wuchtiger Auftritt.
     Letzteres Bauwerk auch ein glücklicher Anknüpfungspunkt zur nächsten Gebäudegruppe, den noch ausgelassenen Bauten der alten Befestigung. Die drei erhaltenen Tore wurden ja schon eingebracht, fehlen noch die ergänzenden vier Türme. Man findet zwei kleinere Bauten: das runde PULVERTÜRMLE (der Name war Programm), erbaut 1499, und ein heutigentags gelb verputzter, rechteckiger WEHRTURM, der lustig der Stadtmauer aufsitzt. 

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Weitaus beeindruckender die großen Türme: Romäus- und KAISERTURM. Letzterer wurde um 1370 errichtet, kraftvoll und skulptural strebt er direkt aus der Stadtmauer empor; einige kleine Öffnungen verschiedener Formate durchbrechen lebhaft die obere Partie, unten vermittelt ein Spitzbogen-Durchgang zwischen Stadt und Park. Der ROMÄUSTURM, älter, kommt aus dem 13. Jahrhundert entgegen. Er nun tritt ein wenig vor die Stadtmauer und erscheint ob seiner Buckelquader nur noch abweisender. Wie schon angedeutet sind beide Türme noch von Stadtmauerresten gesäumt, was ihre Ausdrucksstärke natürlich befördert — außerdem blicken sie mit der Außenseite reichlich aufwertend in den breiten Park-Streifen, der die Stadt in weiten Teilen umgibt.
     Man verwundert sich beim Anblicke solch alter Wehrtürme denn doch der Schönheit dieser ja reinen Zweckbauten des Mittelalters. Wie auch im Falle der beiden großen Türme Villingens wurden sie zumeist ohne oder mit nur wenigen aufwertenden Schmuckelementen versehen, vor allem nämlich sollten sie abweisend den Belagerern starke Wehrhaftigkeit suggerieren.
     Heute erfreuen uns diese im Grunde funktionslosen Bauten dennoch ob ihres Aussehens, rau und grob wohl, von herber Schönheit. Sicher eine merkwürdige Entwicklung, die die abrisswilligen Generationen der 1820er bis 1860er gewiss negiert hätte. Wie kommt`s also, dass wir heute für solche Werke Wohlgefallen empfinden? Als erstes gefällt die im Stadtkörper ungewöhnliche, gestreckte Proportion (wovon ja auch die Kirchtürme profitieren), welche zudem befördert durch die freistehende Stellung. Dem Auge jedenfalls ist diese Art willkommener Kontrapunkt, Blickfang im niedrigeren Stadtkörper.

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Dann die handwerkliche Ausführung, die vor allem der heutige, die bauindustrielle Produktion gewöhnte Betrachter umso mehr zu schätzen weiß. Zuvörderst aber, wie ich meine, beeindruckt die Monumentalität der Türme, evoziert durch Höhe und Geschlossenheit; und da man nicht, um Jahrhunderte zurückversetzt, mit Kanone und Belagerungswerk gegen sie antritt, so ist's eine positive Monumentalität, eine nicht mehr abweisende, sondern erhebende Monumentalität. Mag es noch so banal klingen, dennoch kommt es bei der Betrachtung nur darauf an "auf welcher Seite man steht". Von entsprechendem Wert sind diese alten Wehrbauten, ähnlich den monumentalen öffentlichen Gebäuden wie Kirchen, Schlösser, Rathäuser, im interessierten Betrachter das Gefühl der Erhabenheit weckend. Geschieht dieses, dann tritt auch der letzte Aspekt umso klarer zu Tage, die Symbolisierung der Vergangenheit. Nirgendwo sonst nämlich ist die Verbindung des heutigen Menschen mit den vergangenen Jahrhunderten augenscheinlicher als bei bewusster Betrachtung der historischen Bauwerke. Sie erzählen uns von der Organisation des Alltages, den Ansinnen, dem Stolz, den Nöten, Sorgen und Freuden unserer Vorfahren — und alles erweckt Gefallen im Auge des Betrachters, alles nämlich ist zugleich durchwirkt von einem höheren Wert, dem Wert der Schönheit, der Kunst der Gestaltung, und sei es "nur", wie im Falle der Wehrtürme, der Kunst der Monumentalität.
     Ein letztes der Stadtgestaltung, ein feines Detail der Verschönerung, soll am Ende nicht verschwiegen sein. Von der Nüchternheit des Stadtbildes, der Zurückhaltung wurde ja berichtet. Dass sie dennoch reüssiert liegt auch an einem wichtigen Detail, nämlich den häufig zu sichtenden FASSADEN-ERKERN. Nirgendwo sonst fand ich eine Stadt, welche mit diesem speziellen Gebäudedetail auf diese beinahe verschwenderische Weise umgeht. Man findet sie in allen Variationen und aus jeder Stilepoche, von der Renaissance bis zum Historismus, zumeist von geringer Größe, immer aber kunstvoll. Sie sind das belebende Detail ihrer Fassaden schlechthin, und damit natürlich des Stadtbildes insgesamt. Sie verschönern nicht nur die ohnehin herausragenden Bürgerbauten, auch an den zahlreichen zurückhaltenden Gebäuden bieten sie einen willkommenen Blickfang, so dass sich allenthalben der zweite Blick verlohnt.
     Der Autor verlies Villingen durch das Bickentor, mit der Gewissheit, dass sich wie nirgendwo sonst in Baden die Historie und die Stadtgestalt geradezu perfekt miteinander verquicken. Nur lag dem ganzen nicht auch etwas Unwirkliches zugrunde, gleich einer Inszenierung? Fürwahr, dergleichen ist man einfach nicht gewohnt! Und so ist jener merkwürdige Eindruck wohl das beste Anzeichen, ja auch das Schicksal einer solchen Perfektion. Auf dass man also noch überall ins Grübeln und Stolpern gerät!


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Quellen
1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Website  www.villingen-schwenningen.de
4) örtliche Informationstafeln
5) Kupferstich und Stadtbeschreibung Matthäus Merians aus "Topographia Suevia"

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