Eine Kirchturmspitze aus Fachwerk! Aus einiger Entfernung, der Autor befand sich just auf dem Wege zu Menzingens Schlössern, lugte offenkundig der Turm einer Kirche aus dichtem Kraichgau-Grün hervor — und dessen Spitze zeigte Fachwerk, eine nur schwer zu überbietende Rarität!
Kurze Zeit später sollte denn die Seltenheit aus nächster Nähe angesehen und sogleich gewahrt werden, dass der die Kirche "hervorbringende" Ort, obgleich klein genug, noch einiges mehr zu bieten hat! Aufregend zunächst die Situierung. Nach Überwindung des Grüngürtels nämlich findet man Gochsheim einen teilweise steilen Bergsporn gewinnend. Welch' reizvoll' Bild: die Gebäulichkeiten staffeln sich die Anhöhe hinauf, und aus ihrer Mitte wächst die alle überragende Kirche empor!
Nun ward also der Ort betreten, und siehe da — das Städtchen selbst, seine Gebäude, auch sie im einzelnen fein anzusehen. Und alles profitiert von der Topographie. Ich kam von der nördlichen Schmalseite und fand zwei sich hier abzweigende Straßen in nicht geringer Steigung, was dem Ort ganz lustig das Flair eines Bergstädtchens einhaucht. Rechts und links der für die mittelalterliche Struktur durchaus großzügigen Straßen nur nächstes Gefallen, Stadthäuser nämlich von einiger Qualität, zumeist aus Fachwerk oder zurückhaltendem Barock. Am auffälligsten zu diesem Zeitpunkt ein Fachwerkhaus, das mit seiner Längsseite die Zusammenführung der beiden Hauptwege des Altstadtgrundrisses (Hauptstraße und Hintere Gasse) markiert — erbaut 1733 und über 250 Jahre(!) Sitz eines Kaufladens. Rechts davon das nächste Fachwerkhaus, diesmal die spitze Giebelseite entgegenstreckend. Links wiederum Fachwerkbauten und bereits einige Meter höher das RATHAUS in schmuckvollem aber nicht überfrachtetem Barockstil. Dann aber, den höchsten Punkt markierend, schiebt sich das KIRCHENSCHIFF in die Szenerie: hoch baut sich die Giebelseite auf, auch hier zurückhaltender Barock, dahinter besagte Turmspitze — misstrauisch wie ein Stadtwächter blickt sie über das Langhaus nach unten.
Aber sie ist nicht wirklich misstrauisch, eher neugierig, und das bin ich schließlich auch. Die SANKT MARTINSKIRCHE entfaltet sich in gelungener Komposition und am schönsten der bereits aus der Ferne bewunderte CAMPANILE. Dessen unterer Abschnitt zeigt noch mittelalterliche Details — gleich dem wenig geschmückten Schiff kommt er schwer und massig. Spielerisch und leicht dagegen sitzt die Spitze auf, ein feingliedriges Fachwerk-Oktogon, vollendet von einem lustvoll geschwungenem Zwiebeldach mit Laterne. Ein feiner, der liebste Kontrast.
Von hier aus erkennt man ein weiteres auffälliges Gebäude, gar noch schöner als der Kirchenbau, ein Stadtschloss im Stile der Renaissance — nunmehr also die nächste Rarität. Das GRAF-EBERSTEIN-SCHLOSS, einst Teil einer größeren Burganlage, wurde zwischen 1520 und 1580 erbaut.
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Während die anderen eher burgartigen Partien 1829 abgetragen wurden, peinigten auch das arme Schloss gleich zwei Brandattacken. Diese samt einem Umbau 1905 leisteten vor allem dem Innenleben großen Eintrag — die steinerne Haut des Bauwerkes dagegen widerstand beharrlich, dem Betrachter eine Unmenge feiner Renaissance-Details rettend. Von der Stadt aus besehen gefällt vor allem die Westseite mit zwei kleinen Ecktürmen und einem hölzernen Laubengang im Obergeschoss. Hier und auf der gegenüberliegenden Seite findet man kunstvolle Portale.
Erbaut wurden Schloss und Burg von den Grafen von Eberstein (Stammsitz Murgtal) und gingen nach dem Aussterben der männlichen Linie über Heirat mit der letzten Tochter an Herzog Friedrich August von Württemberg-Neuenstadt, der hier dann seinen Herrschaftssitz nahm. Zu diesem Zeitpunkt übrigens gehörte Gochsheim bereits seit über 150 Jahren als Folge des Bayrischen Erbfolgekrieges zu Württemberg. Die Stadtrechte erwirkte Otto von Eber-stein 1250, nachdem man den bereits im Jahre 804 erstmals urkundlich erwähnten Ort seit dem 12. Jahrhundert im Besitz der Grafschaft wusste.
Doch zurück zum Herzog von Württemberg-Neuenstadt; durch ihn nämlich ward Gochsheim ja eine kleine Residenzstadt. Freilich aber konnte auch der Herzog die Truppen des Sonnenkönigs nicht aufhalten. 1689, in den Unbilden des Pfälzischen Erbfolgekrieges machten sie kurzen Prozess mit Gochsheim: am 1. August streckte der systematisch angelegte Brand die gesamte Stadt nieder. Der Herzog jedoch und seine Untertanen ließen sich nicht unterkriegen. Der Wiederaufbau der Stadt, der St. Martinskirche und des Schlosses wurde umgehend eingeläutet. Als Fürstensitz automatisch von Bedeutung und Anziehungskraft besaß sie hierfür genügend Kraft. 1739 aber der nächste Schlag, ein verheerender Stadtbrand, entstanden aus Unachtsamkeit (sogenannter Bratpfannen-brand) legte er große Teile der Stadt erneut in Asche. Wiederum berappelte sich die Stadt zum Neuaufbau, der im wesentlichen jene Ansichten entstehen lies, deren man noch heute ansichtig. 1806 im Zuge der Napoleonischen "Bereinigung" der sogenannten deutschen Kleinstaaterei, musste Württemberg, widerwillig genug, Gochsheim an den badischen Nachbarn abtreten.
In unmittelbarer Nähe des Schlosses führt ein schmaler Weg, im wesentlichen eine Treppe, den erklommenen Bergsporn wieder herab. Zwischen Trockenmauern gelangt man in den früher gleichfalls befestigten Teil der ehemaligen Vorstadt. Wendet man nun, unten angekommen, den Blick zurück, so findet das Staunen über die Stadt den nächsten und alles Vorige nochmals überbietenden Höhepunkt.
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Den Prospekt mochte ich kaum fassen, denn dies kleine Städtchen, verborgen in der Abgeschiedenheit der Kraichgauer Hügelwelt, besitzt eine der aufregendsten Stadtsilhouetten Badens!
Hier hat man die die schönste Seite Gochsheims vor Augen, angestrahlt auch noch von der untergehenden Wintersonne! Zweierlei zeichnet die Verantwortung für dieses "Schauspiel" auf der langen Südseite: zum einen die historische Bausubstanz (wir gehen gleich auf sie ein), zum anderen der steile Hügel, der, ungeeignet zur Bebauung, bis heute nur von zahlreichen und reizvollen Trockenmauern eingenommen. Historische Stadtansichten verschwanden vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinter wenig identitätsstiftenden Erweiterungs-Konzepten modernistischer Prägung — hier aber, ob der glücklichen Topographie, konnte der "Schelmenstreich" nicht gelingen.
Durch die Höhe nurmehr monumentalisiert reihen sich hier eindrucksvolle Bauwerke aneinander. Das auffälligste wurde schon erwähnt, es ist das Stadtschloss. Hier zeigt es sich von seiner (aller-)besten Seite. Über drei Geschosse mit lebendig verteilten Renaissance-Fenstern ein geschweifter Giebel und rechts und links zwei polygonale Türme. Dann, weiter rechts ein Fachwerkbau von nicht geringer Größe und auf einem hohen Sockel aufruhend. Alsbald der an dieser Seite längste Bau, gefällige Neo-Renaissance, mit massiger Sandstein-Fassade und Fachwerkgiebel; schließlich ergänzend noch ein zweiter zurückhaltender Fachwerkbau. Und über allem thront Sankt Martin, respektive dessen reizvolle Turmspitze.
Man kann hier nicht genug Lob aussprechen, eine majestätische beinahe atemberaubende Stadtansicht, die den Betrachter von selbst um Jahrhunderte zurückversetzt. Gochsheim mag ein besonderes Beispiel sein, aber von dieser oder ähnlicher Qualität präsentierten sich einst und ganz selbstverständlich alle unsere Städte (wie zum Beispiel die meisterhaften Kupferstiche Matthäus Merians belegen). Die den Wert der Baukunst offen verwerfenden Städtebau-Konzepte unserer Tage, nur noch wissend um die Einlösung von (zum Teil gar fragwürdigen) Funktionen, haben sie beinahe restlos verstellt — umso wichtiger, aber auch umso schmerzvoller das Gochsheimer Zeugnis.
Denke bitte niemand jenes Gochsheimer Ensemble, weil schön anzusehen, sei irgendwie nicht funktionsgerecht. Nein, die Einlösung funktionaler Forderungen war den Baumeistern aller Epochen eine Grundbedingung (natürlich auch eine Grundforderung der Bauherrschaft!). Alleine darüber kommt nicht mehr als nackte, gelöcherte Baumasse zum Stehen. Jene nun für das dieselbe notwendig betrachtende Auge erst annehmbar zu machen, griff man zu den zeitgemäßen Kunstformen.
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Diese, wie die Äste eines Baumes, über Jahrtausende gewachsen, stammen doch aus ein und demselben Stamm — d. h. sie folgen allesamt inneren Regeln, welche von außen sichtbar im Ausdrucke der Harmonie und Schönheit (welche im übrigen gemäß Immanuel Kant unmittelbar sind, also weder auf Argumentation noch auf Analyse beruhen!). Jene Harmonie und Schönheit nun, sie sind zugleich ein Grundelement der Natur. Hierüber schloss sich dann der Kreis. Wie der Mensch nämlich aus der Natur gekommen, seine Grundbedürfnisse aus der Natur oder gemäß derselben einlöste, so strebten auch seine Bauwerke, indem sie um Harmonie und Schönheit bemüht, dem Natürlichen nach. Der Verdienst des 20. Jahrhunderts war es den kraftvollen Baum mit seinem wunderbaren Geäst ganz bewusst gefällt zu haben (freilich nicht nur ihn!), den ursprünglichen, ja den eigentlichen Sinn von (Bau-)Kunst mit größter Selbstverständlichkeit bestreitend. Und fürwahr, geben die riesigen Stadterweiterungen dieses Jahrhunderts, anonym, ohne identitätsstiftende Kraft, nicht den klarsten Beweis, dass man darin in einem Irrtume, vielleicht gar in einem der Menschheit bis dato ungekannten Irrtume?
Doch zurück nach Gochsheim. Hat man sich irgendwann vom wunderbaren Prospekt losgerissen, gewahrt man in nächster Nähe zwei echte Kuriositäten. Zunächst einen letzten Rest der STADTBEFESTIGUNG (Vorstadtmauer) mit einem ECKTURM, welcher hier ganz wunderlich in den Erdboden gesunken — aber es war umgekehrt, der vorbeifließende Bach nämlich führte mit jedem Hochwasser neuen Schlamm an die Mauern, bis schließlich nur noch ein bis zwei Meter, ausgemergelt von der Witterung und dem Einsturz nahe, herausblickten. Eine Bürgerinitiative griff gerade noch rechtzeitig ein und restaurierte liebevoll. Im übrigen lässt sich der Eckturm in Perspektive mit der wunderbaren Stadt-Silhouette bringen, den Reiz derselben gar noch bereichernd.
Einige Meter weiter reckt sich als zweite Wunderlichkeit das ehemalige SCHARFRICHTER-HAUS bedrohlich in die Höhe. Es stapelt gleich zwei Sockelstockwerke, dann ein Fachwerkgeschoss und einen hohen Giebel, welcher gleichfalls aus Fachwerk. Vor allem der merkwürdig hohe Sockel flösst einigen Respekt ein — eine bewusste Geste?
1689 schwang sich der Sonnenkönig zum unbarmherzigen Scharfrichter Gochsheims auf, die Stadt ward gehenkt, gänzlich niedergebrannt. Ein einziges Gebäude überstand unbeschädigt — ausgerechnet das Scharfrichter-Haus! Gewiss nur Zufall, freilich aber ein ausgesprochen merkwürdiger. Darüber nämlich bietet sich denn doch ein bekanntes Sprichwort feil "Eine Krähe pickt der anderen Krähe nicht die Augen aus"!
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Quellen 1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Jahreszahlen; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959. Auch diese beiden Autoren würdigen die südliche Prachtseite Gochsheims (S. 300), sprechen überdies generell von "malerisch".
3) Homepage Gochsheim www.kraichtal.de (Gochsheim ist Ortsteil der Stadt Kraichtal)
4) Informationstafeln vor Ort
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