Hart an der Grenze zum sogenannten Kleinen Odenwald, näher bei Sinsheim als zu Mosbach besetzt das Städtchen Neckarbischofsheim gerade noch den nördlichen Rand des Kraichgaus. Auch in diesem Falle also sanfte Hügel, abwechselnd von Feldern und Wald eingenommen — eben jenes friedliche, homogene Intermezzo zwischen Odenwald und Schwarzwald, dass in seiner ruhigen Eigenart sehr zu schätzen und ganz von selbst für die hier eingebetteten Städte und Dörfer ein sanfter Hintergrund.
Das Dorf Bischofsheim, wiewohl Jahrhunderte älter weist sich urkundlich das erste Mal im Jahre 988 nach. Doch dauerte es noch weitere 400 Jahre bis zur einfachen Existenz auch die Bedeutung trat — 1378 endlich empfing der Ort die ausweisenden Stadtrechte. Diese vor allem auf Betreiben der Grafen von Helmstatt (später Helmstadt), welche ein Jahrhundert zuvor Burg und Siedlung von König Rudolf von Habsburg als Reichslehen gewannen. In jenen Jahren wurde Bischofsheim denn auch befestigt. Mauern, Gräben, Türme und Tore also legten sich wehrhaft, wenn durchaus auch eng gezogen um den zunächst sehr kleinen Siedlungskörper. Jene damals gezogenen Grenzen wurden wohl erweitert, gingen aber nie über das Bescheidene hinaus, welches also bestimmend blieb bis zur Niederlegung der Stadtmauern, ja bis ins 20. Jahrhundert.
Hier, wie vielerorts beendete das kriegerische 17. Jahrhundert eine Blüte, die ungehindert durchaus zu einer wirklichen Vergrößerung der Stadt hätte führen können. Der 30jährige Krieg brach an, lange genug immerhin konnten die Bürger ob der entgelegenen Lage auf Verschonung hoffen. 1622 sah man wohl hilf- und ratlos zu wie General Tilly (katholische Liga) von Neckarbischofsheim aus zur Eroberung der kurpfälzischen Hauptstadt Heidelberg (calvinistisch-protestantisch) ansetzte. Das wirkliche Wüten aber lies noch auf sich warten. Endlich marodierten 1638 Kroaten, 1645 Franzosen — hernach war auch unser kleines Städtchen aufgezehrt, nicht zerstört zwar, aber reichlich ausgepresst.
Im Pfälzischen Erbfolgekrieg ab 1689 blieb man von der drohenden totalen Zerstörung verschont. Dieselbe schwebte wie ein Damoklesschwert über der Stadt, letztlich aber ohne dreinzuschlagen. Das schätzte man nur umso mehr als man voller Schrecken über die Einäscherung des nahegelegenen Sinsheim Zeugnis ablegen musste. So blieb die Stadt, glücklich genug, bis 1859 von großen Schicksalsschlägen verschont. Was kein Krieg vermochte erhob sich endlich aus eigenen Reihen, ohne Fremdeinwirkung, ein verheerender Stadtbrand — eine Zäsur, noch heute leicht nachvollziehbar. Seinerzeit war aus dem "unverbindlichen" Bischofsheim schon das näher bestimmende Neckarbischofsheim geworden. Die Stadt, bis zuletzt in der Obhut der Helmstätter Grafen, ging 1806 auf das Großherzogtum über. Baden nun verfügte zu diesem Zeitpunkt über gleich drei Orte namens Bischofsheim und empfand dies durchaus als einen zu behebenden Makel. So also legte man flugs den Namen des nächstgelegenen Flusses vor die Bezeichnung der Orte: Rhein-Bischofsheim, Tauber-Bischofsheim und unser Neckar-Bischofsheim.
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Ein Stadtbrand im Jahre 1859 war es also, der einem erheblichen Teil der wertvollen historischen Substanz die Existenz versagte! Der notwendige Wiederaufbau konnte zeitgemäß einen nur noch kraftlosen, wenig erbaulichen, durchaus romantizistisch verbrämten Spätklassizismus nutzen; und auch die weiter hinzukommenden, z.T. ersetzenden Bauten wurden je länger desto unansehnlicher, mündend schließlich ab 1950 im Modernismus, der wohl zur Funktionalität, nirgendwo aber zur Schönheit der Stadt beitragen konnte, ja wollte. Der Stil unserer Tage gab dem Ort nicht nur in seinem Wachstum ein Allerweltsaussehen, griff nämlich regelmäßig ebenso ins Herz der Stadt, auch letzteres nicht zu einem ästhetischen Gewinn. Wie schnell ermüdet ein zunächst aufmerksames Auge doch bei solchen Unbilden! "Baukunst ist die vom ästhetischen Gefühl geförderte Konstruktion", lehrte uns Karl Friedrich Schinkel. Was sehen wir statt dessen? Nicht nur Profanität, nein zur Schau gestellte Profanität, auswechselbar, gefühlskalt, keines zweiten Blickes wert. Zeitgemäß soll jenes Gebaue sein — und fürwahr, es ist zeitgemäß!
Zu allem Übel ward hier und da aus einem Gefühl der Geringschätzung das immer bereichernde Fachwerk unter dicker Putzschicht begraben. Endlich bleibt der trotz allem noch gefälligen Hauptstraße nicht einmal der Autoverkehr (einem zum Glück nicht übermäßigen) erspart. Die klassische urbane Qualität, gebildet aus kunstvollen Bauten und Plätzen, Straßen wie Gassen, die zum Flanieren einladen, sie sind in Neckarbischofsheim leider Fehlanzeige.
Kurzum, das Städtchen wollte mir bei der Besichtigung lange Zeit nicht recht zusagen. Und dennoch, ich fand etwas, das durchaus auf Reiz verwies, mehr als ich durch das ausgebreitete Raster zunächst erkennen wollte. Jenseits der beschriebenen, der ohne weiteres gravierenden Mängel nämlich gefiel mir die kleine Stadt am Ende dennoch. Woran aber lag's?
Im Grunde ist's einfach genug, und ohne jene freilich bewährte Schablone hätte ich es wie manch` unbedarfter, den Ort schätzender Laie, wohl auch sofort bemerkt: namentlich die Fülle, nein die Dichte herausragender Bauten! Natürlich, das war es — das köstliche, alles verbindende urbane Fleisch findet man "sorgsam" herausgefressen zwar, die baulichen Höhepunkte aber, gleichsam das für den städtischen Genuss erst recht notwendige Gewürz, sind vollauf intakt.
Neckarbischofsheim fürwahr ein merkwürdiges Städtchen — von dem einen besitzt es beinahe gar nichts mehr, vom anderen dagegen geradezu ein Übermaß. So mag es deshalb ein merkwürdiges Städtchen sein, am Ende auch ein schönes — darüber keine Zweifel mehr. Dennoch die Fülle herausragender Bauten alleine hätte nicht genügt zur Zeugung von Attraktivität, aber in der geringen Ausdehnung unserer Altstadt bedeutet jene Fülle zugleich eine Dichte — darin das entscheidende! Im kleinen Stadtkörper reihen sich die Monumentalbauten förmlich aneinander, so dem Gesamteindruck die Schwäche der vielen anderen Gebäude verzeihend.
Gehen wir nun jenem geheimnisvollen Gewürz, dem Salz und Pfeffer der "urbanen Suppe" einzeln nach. Beginnen wir mit den Schlössern. So klein das historische Städtchen sein mag, es besitzt deren gleich drei. Beim Zeus! Welche Stadt sonst, erst recht dieser Größe, kann sich solcher Anzahl rühmen?
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Das sogenannte ALTE SCHLOSS ist das schönste. Es begann im Jahre 1274 als einfacher Wohnturm, ward 1368 durch einen Palas erweitert. Eben jener PALAS existiert noch heute — gewiss er wurde mehrfach umgebaut, nirgendwo aber zum Schaden seiner Schönheit. Außerdem änderte sich seine Umgebung. Einst von sumpfigem Land umschlossen findet man heute den liebreizenden SCHLOSSPARK, bestückt mit Teich — der schönste Teil Neckarbischofsheims. Das dreigeschossige Schloss wurde durch die Umbauten endlich ganz der Renaissance geweiht. Feine Rahmungen der Fenster und Portale, dazu ein Erker und ein Treppenturm. Die Öffnungen gemäß der alten innenräumlichen Anforderungen in lebendiger Streuung über die Fassade. Sorgfalt in der Detailarbeit erlaubt den Ansichten jene Unregelmäßigkeit. Mittelalterlich-mächtig, eben noch trutzig, das Eck-Quaderwerk und zart ergänzend der Giebel aus Fachwerk. Als Solitär in den Park "geworfen" wirkt das alte Schloss gar reizend.
Ihm zur Seite ein kleines Wunderwerk der Renaissance, ein PRACHTTOR von seltener Schönheit. Einst Teil der weitgehend abgetragenen Stadtmauer, besitzt die Außenseite beachtliche Schönheit. Der Rundbogen-Durchgang weiß um feine Ornamente, erlässt Säumung durch zwei kannelierte Säulen korinthischer Ordnung. Erbaut im Jahre 1590 wird es in Baden nur von wenigen Renaissance-Toren übertroffen.
Unweit des alten Schlosses das NEUE SCHLOSS, das als Nachfolger eines mittelalterlichen Steinbaus (14. Jahrhundert) per klassizistischem Stil in Winkelform neu errichtet (1829). Dasselbe aber kommt ausgesprochen nüchtern und praktisch ohne Würdesymbole; kaum als typisches Schloss kenntlich kann es nur als wuchtiger Baukörper gewisse Geltung beanspruchen.
Auf dem Wege zum dritten, außerhalb des großen Parkes liegenden Schlosses stellt sich eine kleine, aber wundervolle Kirche in den Weg, wiederum mit Seltenheitswert: SANKT SALVATOR. Im "allerletzten Moment" zeigt sie nochmals den gotischen Spitzbogen, das aber beeinträchtigt nicht die eigentliche Dominanz — Sankt Salvator nämlich, erbaut zwischen 1543-1612, ward vor allem der Renaissance verpflichtet. Kirchen dieser Stilart nun findet man deutschlandweit nur wie die sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen — Sankt Salvator also ein Kleinod sondergleichen!
1543 ward der Kirchturm, 1610-12 das Schiff errichtet. Beide gefallen. Der CAMPANILE verspricht den CHOR, steht demnach auf der Rückseite des LANGHAUSES. Dessen Vorderseite hält neben einem prachtvollen Portal (gesäumt von zwei Maßwerk-Fenstern) einen geschweiften, verspielten Giebel bereit. Portal und Giebel in feinster Renaissance, das Maßwerk noch gotisch. Auch der Nebeneingang auf der zugänglichen Längsseite zeigt ein glänzendes Renaissance-Portal. Im Turm sieht man, salopp gesprochen, ein dickes Ding — ganz geprägt von der erdenschweren Machart deutscher Renaissance. Das himmelwärts strebende Moment der Gotik, es ward aufgegriffen nur noch von der Dachform; aber selbst dessen zeltförmige Geometrie wirkt eher kompliziert als leicht. Lustig freilich das Treppenrund, das an den dicken Turm "geklebt".
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Nachbar Sankt Salvators die ZEHNTSCHEUER von 1570. Neben der geschweiften Giebelfassade der Kirche wirkt sie stämmig und zuvörderst über das große Spitzbogen-Tor. Rustikales neben dem Feinsinnigen — ein erfrischendes Zusammenspiel.
Nun aber, über die Hauptstrasse, zum dritten Schloss, der sogenannten ALEXANDERBURG. Entstanden Ende des 14. Jahrhunderts war das eigentliche Amtshaus bis zur Erbauung des Neuen Schlosses das jüngste im Bunde der drei Schlösser. Ein angenehmer zurückhaltender Putzbau, wiederum in Winkelform, das mehrfach umgebaut trotzdem noch mit Renaissance-Details. Zumeist gefällt die gute Gebäude-Proportion, auch die Ausladung des Obergeschosses.
Zurück über die Hauptstrasse reizen denn doch zwei Fachwerkhäuser— das einzige verbliebene Ensemble dieser Art. Das EHEMALIGE RENTHAUS und der GASTHOF wurden im fränkischen Stil ausgeführt — beide geizen nicht mit Schmuckformen der Renaissance. Erneut also, wie nun mehrfach verifiziert, aufwendige Renaissance. Die Blütezeit Neckarbischofsheims wogte wie oben eingeführt im 16. Jahrhundert — trefflich dass man dieselbe an den wenigen aus jener Zeit geretteten Bauten noch ablesen darf.
Von hier aus nehmen wir kurzen Weg zum nächsten Unikum, diesmal ein trutziger BEFESTIGUNGSTURM. Dick wohl wie der Kirchturm stampft er als gewaltig' Bollwerk. Was ihm Charakter kürt ist vor allem die Anzahl seiner Seiten, deren er nämlich gleich fünf besitzt. Die Außenseite (drei Seiten) wurde von zahlreichen Schießscharten durchbrochen — noch aufregender allerdings die um einiges höhere, ja monumentale Innenseite, welche zwischen mächtigen Mauern nach oben immer mehr in Fachwerk übergeht. Auch dasselbe sehr ungewöhnlich, eingebaut aber erst nachträglich. Der Maueranteil stammt von 1448, das Fachwerk samt Zeltdach aus 1726. Der Turm besetzt gleichzeitig den topographischen Hochpunkt der historischen Stadt und lässt sich von außen gar reizvoll im Zusammenhang mit den umgebenden welligen Hügeln gewahren.
Alle nunmehr kurz vorgestellten Werke liegen in nächster Nähe zueinander, was endlich wie dargelegt den Reiz der Stadt ausmacht. Dieser Umstand, er gilt nicht für das letzte, nun anstehende Gebäude, welches ein wenig abseits zwar genug Lob findet, aber nicht mehr direkt zum bestimmenden Ensemble gehört: die zweite Kirche der Stadt, SANKT JOHANN, mit dem kurz schaudern lassenden Zweitnamen Totenkirche. Ihre Anfänge reichen mindestens ins 14. Jahrhundert, das heute Sichtbare aber entstammt den beiden folgenden Jahrhunderten. Schmal und lang und mit Dachreiter statt Turm dient sie noch ganz dem mittelalterlichen Ausdrucke, namentlich der Gotik. Durch ihre Lage auf einer leichten Anhöhe besitzt auch sie ein monumentales Moment. Der Dachreiter, ganz in schwarz, mit barockem Zwiebeldach, steht in spannungsvollem Gegensatz zum weißen Verputz der Kirche.
Vor Sankt Johann stehe ich gleichzeitig schon außerhalb der ehemaligen Stadtmauern. Alsbald, die Besichtigung hat ihr Ende gefunden, liegen auch die neuen Stadtgrenzen hinter mir. Was bleibt ist jener merkwürdige Eindruck Neckarbischofsheims, die Verwunderung über die ausstrahlende Exklusivität weniger Bauwerke, die in einem geradezu heroischen Akte eine ganze Stadt vor fehlender, in baulichen Ausdruck abgebildeter Identität bewahren.
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Quellen 1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale und Wirkungen
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Website www.neckarbischofsheim.de
4) örtliche Informationstafeln
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