Die langen Seitenflügel des Ehrenhofes, zweigeschossig, gleichfalls klar horizontalisiert, geizen nicht weniger mit Pilastern, anderem plastischem Schmuck — geschickt bedacht der sich zwischen den Eckbetonungen entbreitende Arkadengang, halb Gebäude noch, halb schon Freiraum die schönste Vermittlung zum Ehrenhof.
Die neben dem Corps de Logis schönste Partie des Schlosses stellt die im nordwestlichen Winkelflügel untergebrachte KAPELLE. Ihr wegen Feuchtschäden leider nicht zugänglicher Innenraum ist eine jener flirrenden, entrückten Rokoko-Welten, und auch die recht kleine Eingangsfassade gefällt durch ein aufwendiges, säulenbestücktes Portal dieser Stilart.
Vom Palaste aus wird man wie selbstverständlich auf dem rechtwinklig vom Corps de Logis ausgehenden Hauptstrahl in den Stadtkörper überführt. Bevor wir nun auf dessen attraktivste Bauwerke stoßen, ergänzende Worte zur Stadtbild insgesamt. Die ausgewiesenen rechtwinkligen Baublöcke füllten sich im beginnenden 18. Jahrhundert nur langsam mit Gebäuden, ein Problem im übrigen, das bald auch schon Karlsruhe beschäftigen sollte. Beide Markgrafschaften nämlich, Baden-Baden wie Baden-Durlach, hatten durch den schweren Krieg Bevölkerungsaderlass genug gelitten. So also wuchs Rastatt nur langsam. Wo dies aber gelang wurden die Gebäude in aller Regel nicht nur gleichmäßig an Höhe (zwei Stockwerke) sondern auch an Gebäudegestalt ausgeführt - kurzum Rastatts Bürgerhäuser erstanden nach modellhaften Vorgaben. Vorgaben im übrigen, in Rücksicht auf die finanziellen Möglichkeiten der Erbauer; aufwendiger Gebäudeschmuck verbot sich bei der Ärmlichkeit der Verhältnisse von selbst, so dass man statt prunkvoller Fassaden immerhin zu einer homogenen Stadtgestalt fand. Homogen freilich ohne Gefahr der Langeweile. Denn neben den auffälligen, Abwechslung gewinnenden Bauten der Öffentlichkeit, achtete man bei aller Zurückhaltung auf das notwendige Maß an Belebung der Fassaden. Die dabei schönsten Stilmittel stellen die Betonung der Baublockecken durch hervortretendes Quaderwerk und zierliche, liebreizende Rokoko-Eisenbalkone, welche übereck geführt (man höre und staune, der berühmte Übereck-Balkon, nicht wie so gerne deklariert eine Erfindung des Modernismus — gefunden gar schon im Barock!). Eine kluge Idee, in Variationen beständig wiederholt, die neben der Schönheit des Elementes, den gesamten Stadtkörper formal zusammenband.
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Davon allerdings wie auch von den Modellhäusern liest man heute nur noch wenig auf. Die meisten Gebäude nämlich wurden im 19. Jahrhundert sukzessive ausgetauscht, auch hat der Modernismus manch' Fang tun können. Unter dem Strich zeigt die Innenstadt zwar weitgehend historische Bebauung, jedoch nicht mehr in der ursprünglichen Homogenität. Was dem am meisten zuwider sind unerfreuliche Gebäude des späten 19. Jahrhunderts (Historismus) oder modernistische Eindringlinge, welche sich rücksichtslos einige Geschosse mehr nahmen, demnach für unruhige Silhouetten Verantwortung zeichnen. Weil zudem viele historische Bauten mit im 20. Jahrhundert zerstörten, zu Schaufenstern umgebauten Erdgeschoss-Fassaden (was häufig die Hälfte der gesamten Fassadenfläche bedeutet!), kann man dem alten Zentrum leider nur noch am Marktplatze Schönheit attestieren — alles andere gewahrt man unglücklich überformt, entstellt; ohne Schloss und Marktplatz wäre der Ort nur ein trister.
Betrachten wir also nach dem Schloss die nächsten Bauwerke, welche Rastatt zu Ansehen verhelfen. Entlang des Hauptstrahles, zunächst zwei Kavalierhäuser, dem Schloss noch direkt gegenüber. Ansehnlich beide, Vorzug aber gebührt dem sogenannten ROSSI-HAUS, ausgeführt vom Baumeister, ihm zu Ehren entsprechend benannt. Modellmäßig zweistöckig, mit kraftvollen Eckpilastern und einem reizvollen Mittelrisalit mit Balkon auf korinthischen Säulen. Auch im kleinen Maßstab ein Meisterwerk Rossis.
Durchschreitet man entlang der Hauptachse die Stadt, so gelangt man eingedenk der geringen Ausdehnung des barocken Rastatt beinahe umgehend auf den länglichen, senkrecht zum Hauptstrahl von Rathaus und katholischer Stadtkirche aufgespannten MARKTPLATZ. Zwei kunstvolle Brunnen veredeln als schönstes Platzmobiliar. Die SANKT-ALEXANDER-KIRCHE, erst 1764 fertiggestellt, erbaut nach Entwurfe des Hofarchitekten Johann Rohrer darf als dessen Meisterwerk gelten, eines der schönsten barocken Gotteshäuser Badens. Der Campanile nach vorne, mit Zwiebeldach und Laterne, wie die gesamt Eingangsseite überaus und mit großem Geschick schmuckvoll. Allenthalben wirbeln Pilaster in die Höhe und auch an Statuen kein Mangel. Die Eingangspartie wölbt sich nach vorne, die Fassade also wie die Ornamentik im Fluss. Ja, wir liegen dem Rokoko zu Füßen.
Johann Rohrer wie auch sein Bruder Michael waren die Baumeister der Markgräfin Sibylla Augusta, welche sie aus Böhmen zur Nachfolge Egidio Rossis mitbrachte. Sie, neben Rossi, prägten und prägen noch bis heute das barocke Zentrum Rastatts.
Das RATHAUS auf der gegenüberliegenden Querseite des Markplatzes, erbaut ab 1715, stammt gleichfalls von Johann Rohrer. Ein schmucker Putzbau, die Eingangsseite zum Platz mit kleinem repräsentativem Balkon auf korinthischen Säulen. Die mittleren drei der fünf Fensterachsen als Mittelrisalit — zu diesem Behufe mit zusätzlichem, Pilaster-besetztem Geschoss plus Dreiecksgiebel, endlich einem Dachreiter.
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In einiger Entfernung, ursprünglich ein wenig vor der Stadt liegend, der nach Schloss und Marktplatz dritte Ort ausgewiesener Ästhetik — ein kleiner Park bestückt mit vier ungewöhnlichen Bauwerken. Die beiden schönsten, gleichzeitig die kleinsten, stammen noch aus barocken Tagen. Ersteres ein TEEHAUS von 1722, die sogenannte Pagodenburg (in Anlehnung an das Münchener Vorbild), genutzt von der markgräflichen Familie, entworfen von Michael Rohrer. Ein überaus gefälliger Bau, strotzend vor korinthischen Pilastern, nach allen vier Richtungen risalitartige Ausbuchtung streckend — eines der lieblichsten Rokoko-Exemplare Badens. Zweiteres gar noch aufregender, die EINSIEDELNER KAPELLE aus 1715: die Eingangsfassade aus grau-gelbem Sandstein wunderbar plastisch, Säulen und Pilaster korinthisch, gesprengter Segmentbogen-giebel, dazu Statuen und reichlich Schmuck. In meinen Augen die schönste barocke Kapelle Badens. Auch sie ward entworfen von Michael Rohrer, gestiftet aber von der Markgräfin als ein frommer Dank für den Frieden von 1714.
Die ergänzenden Bauten sind Kuriositäten: ein mächtiger, wehrhafter Wasserturm und eine Fabrik im Gewande einer Burg. Beide also "Opfer" des Historismus, aber lustig anzusehen. Zusammen mit den barocken Meisterwerken, eingebettet im ruhigen Park, dazu noch der Flusslauf der Murg, ergibt sich ein gar wunderliches Bild, ekklektizistisch allzumal. Einer der merkwürdigsten Orte des Landes.
Fünf weitere ansehnliche Bauten des Barock bleiben anzuführen. Unweit des Parkes, zurück in Richtung Schloss das heutige Postgebäude, errichtet bis 1715 als MARKGRÄFLICHE BRAUEREI. Gefällig vor allem die Mittelpartie aus rotem Sandstein, monumentalisiert durch kolossale korinthische Pilaster, spannungsvoll nach innen gebogen. Kurz vor dem Schloss ein zu demselben gehörendes TOR — eine Rundbogen-Öffnung, detailreich mit Pilastern und einen kleinen Segmentbogengiebel balancierend.
Die drei letzten Gebäude finden sich eng beieinander, beginnend gegenüber der Schlosskapelle. Letztere, schon besprochen, wurde von Michael Rohrer erbaut — ihr direkt gegenüber ein großes SCHULHAUS, entworfen von dessen Bruder. Ein dreigeschossiger Flügelbau mit Mansarddach, interessant vor allem der Umgang mit der Fassade: die jeweils zwei oder drei übereinander stehenden Öffnungen sind durch nach vorne tretende Putzabschnitte zu einer monumentalisierenden vertikalen Ordnung verbunden — ein geschicktes Stilmittel, in Rastatt nur hier gefunden, in Heidelberg dagegen, einem der Zentren der badischen Barockbaukunst, ganz regelmäßig.
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Läuft man die nach der Schule benannte Lyzeumstraße hinunter trifft man alsbald auf ein ehemaliges FRANZISKANER-KLOSTER mit Kirche und Konventbau, 1702-14 in die Welt gebracht. Beiden, nach Entwurfe Egidio Rossis, gab der ausführende Architekt Lorenzo de Sale ganz dem Ordenscredo entsprechend ein bescheidenes, im Falle der Kirche geradezu kärgliches Aussehen. Durch die kolossalen Pilaster und die wenigen, hoch sitzenden Öffnungen erwirkt das Bethaus dennoch einen monumentalen Eindruck; das Portal immerhin zeigt kunstvolle Details. Der wuchtige Bau hinterlässt ohne weiteres einen gefälligen, durch die Geschlossenheit durchaus einen geheimnisvollen Eindruck.
Dem Konventbau schräg gegenüber die BERNHARDUSKIRCHE, reizvoll das leicht ansteigende Terrain ausnutzend, gerahmt von Bäumen und Sträuchern. Die präsentierte Eingangsseite zeigt Barock pur, dabei den Turm mit spitzem, niedrigem Dach, außerdem einen schön geschweiften, vom Turm durchschnittenen Giebel. Die Detailsprache gibt sich zurückhaltend, die Bemalung vor allem zeugt eine lebendige Ansicht. Die liebliche, kleine Kirche umrundend erlebt man alsbald eine handfeste Überraschung, namentlich in Gestalt eines hochgotischen Chores. Das Gebäu ist also um vieles älter als die Vorderseite glauben macht — und tatsächlich ward es bereits 1207 urkundlich festgemacht. Die Bernharduskirche, genauer die Rückseite, ist damit nicht nur mit dem riesigen Abstand von 500 Jahren das älteste Bauwerk Rastatts, sondern auch das alleine Überlebende aus des Ortes Tagen als Marktflecken! Ansonsten nämlich hatte die Residenzstadt mit seinem Vorgänger nicht das geringste gemein, weder im Stadtgrundriss, erst recht nicht an Gebäuden. Das ursprüngliche Rastatt, einmal zerstört verschwand es auf immer.
Markgraf Ludwig Wilhelm, der den Aufbau der Residenz so energisch vorangetrieben hatte, sollte sich an seiner Schöpfung kaum erbauen können. Lediglich zwei Jahre, bis zu seinem frühen Tode 1707, durfte er das Schloss bewohnen und nur die kümmerlichen Anfänge des Stadtaufbaus bedauern. In seinen letzten Jahren aber gelang ihm neben der neuen Hauptstadt einen weiterer bedeutender Coup für die Markgrafschaft: territorialer Gewinn! Dem kleinen Land, viel zu klein um ein stehendes Heer, eine eigene Armee zu unterhalten, war solches alleine durch geschicktes Taktieren möglich. Nun lag dem Türkenlouis freilich nichts näher als geschicktes Taktieren. Und so vermochte er dem Kaiser die österreichische Ortenau samt den Reichsstädten Offenburg, Gengenbach und Zell abzuluchsen, nach zähen Verhandlungen und als Gegenzug seiner und des gesamten schwäbischen Reichskreises Unterstützung gegen schon wieder heraufziehende Bedrohung durch den Sonnenkönig. Ein bedeutender Gebietsgewinn für die Markgrafschaft, die Vergrößerung des Territoriums um ein Drittel, umso wertvoller ob direkter Verbindung mit der Markgrafschaft — ein weiterer großer Erfolg Ludwig Wilhelms.
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Seine ihm treu ergebene Gattin Markgräfin Sybilla Augusta, aus begütertem böhmischen Hause, setzte das Begonnene konsequent fort, wenn auch erst nach 1715, der Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges. Alleine in Rücksicht auf den Hofbaumeister machte sie eine freilich gewichtige Ausnahme. Egidio Rossi lies sich seine Künste (nicht zu unrecht) teuer vergüten — zu teuer nach Ansicht der Markgräfin. Rossi musste gehen, statt dessen kam das Brüderpaar Rohrer aus ihrer Heimat. Beide Rohrers wahren zweifelsohne talentierte Architekten, blieben nur wenig hinter Rossi zurück. Letzterer im übrigen erfreute die Markgrafschaft neben den Rastatter Leistungen noch durch das Schloss Scheibenhardt unweit Karlsruhe.
Auch für Baden-Durlach, welches sich Rossi "auslieh", schuf er wie in Rastatt das (zunächst) wichtigste Bauwerk, die Karlsburg, das neue Residenzschloss zu Durlach. Ausgeführt wurde allerdings nur ein Seitenflügel (dieser aber von beeindruckender Größe), indessen nämlich zeichnete sich schon die neue Residenz Karlsruhe ab. Auch die Rohrers reüssierten außerhalb Rastatts. Michael Rohrer schuf das Lustschloss und Rokoko-Juwel Favorite nahe der Hauptstadt, außerdem Schloss und St. Martinskirche in Ettlingen, auch den Königshof in Offenburg; Peter Rohrer, wie in Rastatt auch das Rathaus Ettlingens. Der Italiener Rossi und die beiden Böhmen Rohrer, sie schufen also das barocke Antlitz der Markgrafschaft Baden-Baden, ausgewiesene Baukunst erwirkend. Barocke Baumeister noch größeren Talents besaßen in den vielen Ländern, die später zu Baden zusammengefasst, allenfalls die ja deutlich größere und einflussreichere Kurpfalz, die österreichischen Partien in Gestalt der Vorarlberger Bauschule (Franz Beer und vor allem Peter Thumb, der in Baden als der Klostererbauer schlechthin zu gelten hat) und kurzzeitig nur in der überragenden Person des Balthasar Neumann das Bistum Speyer.
Nach dem Tode Ludwig Wilhelms wuchs Rastatt langsam aber konsequent weiter, wurden die vorgestellten öffentlichen Bauten nach und nach ausgeführt. Das Schloss erlebte unter dem Sohn Ludwig Wilhelms, dem Markgrafen Ludwig Georg in den Jahren 1747-52 eine zweite Blütezeit, welche vor allem die Pracht der Innenräume steigerte. Zu diesem Zeitpunkt allerdings war das Ende nicht mehr fern: 1761 starb Ludwig Georg, 1771 auch sein Bruder August Georg — und, schlimmer noch, beide kinderlos! Die Existenz der Markgrafschaft Baden-Baden, beinahe 250 Jahre während, sie erlosch sang- und klanglos! Vertragsgemäß kam ihr Staatsterritorium an den badischen Bruder, die Markgrafschaft Baden-Durlach.
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Was sich nun im ersten Moment traurig liest, bedeutete zugleich aber den ersten, den vielleicht wichtigsten Schritt der badischen Vergrößerung, welche schließlich im Großherzogtum mündete. Zwei kleine Markgrafschaften hätten im napoleonischen Zeitalter kaum die bedeutenden Gebietszuwächse erreichen können, wären vielleicht selbst einem anderen Fürstentum zugeschlagen worden. In der vereinigten Größe aber war die Markgrafschaft prädestiniert wie kein anderes Land, gleichsam als geographischer Mittelpunkt, Anspruch auf die zu verteilenden, aufgelösten Fürstentümer zu erheben.
Für Rastatt aber begannen ab 1771 triste Zeiten. Kaum etwas nimmt sich trauriger aus als eine ihrer Residenz entkleidete Residenzstadt. Ein Klagelied im übrigen, das bald schon auch Mannheim und Bruchsal anstimmen würden. Die Stadt hatte ihren Mittelpunkt verloren, und im Nachhinein vermeint man beinahe als seien seinerzeit die (noch nicht existenten) Bürgersteige "hochgeklappt" und die Stadttore geschlossen worden. Wie zugunsten Rastatts die vorherige Hauptstadt Baden-Baden in einen Dornröschenschlaf versunken war, so jetzt Rastatt.
1840 aber, nach 70jährigem Märchenschlummer, erwachte die Stadt zu neuem Leben. Und das gewaltig, ja spektakulär, der Residenzgründung kaum nachstehend. Mit einem Male nämlich ward das verschlafene Rastatt zur Bundesfestung erkoren, zur letzten Festung in Badens Geschichte, zur mächtigsten Festung in Badens Geschichte! Und hier ging nun keine kleine Markgrafschaft ans Werk, sondern das nunmehr potente Großherzogtum! Was also bei der Residenz nur schleppend voranging, selbst der Bau des Schlosses erscheint dagegen langsam, nahm sich die Festungsstadt explosionsartig. Rastatt wurde zu einer Baustelle bisher ungekannten Ausmaßes und wenige Jahre später stand ein Machwerk in der Rheinebene, fett, wie nur selten gesehen. Alte Stiche jener Zeit enthüllen das merkwürdigste, beinahe ein mystisches Bild: eine Welt unaufhörlicher Schanzen und Bastionen, hochaufragend und riesigen Ausmaßes — ob der pyramidalen Gestalt der mit starkem Gefälle angelegten Schanzen wähnt man sich vom Rhein an der Pharaonen Nil verzaubert! Rastatt war nun wie ehedem, nein noch leichter in aller Munde, hatte zu neuer Identität gefunden — auch das Schloss, welches nun prächtigste Festungskommandantur Deutschlands.
Dem Türkenlouis hätte das riesige Bollwerk gewiss gefallen, hatte er doch selbst die neue Residenzstadt als eine zu befestigende betrachtet. Ob des schmalen Geldbeutels wäre sie natürlich der Größe nach nimmer so weit gekommen, der grundsätzlichen Gestalt mit pyramidalen Glacis aber ohne weiteres. Im übrigen, Festungen dieser Art hatte der Markgraf selbst belagert, darunter die nicht ferne französische Veste Landau (heute Rheinland-Pfalz), welche er auch gleich zweimal erobern konnte — zwei seiner seltenen Offensiv-Aktionen am Oberrhein.
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Da stand sie also die Bundesfestung Rastatt, abweisend, furchterregend . . . und niemand griff an! Während ihres Daseins gab es lediglich einen Konflikt, in welchen das Großherzogtum verwickelt, den deutsch-französischen Krieg 1870/71, der praktisch aber nur auf Frankreichs Territorium ausgetragen. Wäre der Krieg ausgeglichener verlaufen, die grenznahe Festung wäre sehr schnell ins Visier geraten. Aber dieses, ob mittlerweile stark fortgeschrittener Artillerie-Technik für die Bewohnerschaft verheerende Schicksal blieb zum großen Glück ausgespart. Entsprechende Erleichterung machte sich ab 1890 breit, als nach nur 50jähriger Existenz die Festung bereits wieder geschliffen ward — der militärische Nutzen solcher Anlagen war mittlerweile vollends dahingeschmolzen. Eine Merkwürdigkeit blieb's trotzdem, eingedenk der riesigen investierten Geldmittel.
Für Rastatt durchaus ein zwiespältiges Schicksal — einerseits war man möglicher Bedrohung entflohen, andererseits der neuen Identität, dem neuen Leben. Bei der Schleifung der Festung ging man leider zumeist konsequent vor. Die beiden Tore immerhin, KARLSRUHER und KEHLER TOR blieben erhalten — sehr schön anzusehen, in einem mittelalterlich-wehrhaften Stil, der allgemein im Festungsbau jener Jahre gewählten Variante des Romantizismus. Zusammen mit einem Gebäude vom badischen Meister des Romantizismus, Heinrich Hübsch, welches er unweit des Schlosses ausführte, ausgezeichnete Exemplare dieses Stiles aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ansonsten blieben wenige KASERNENGEBÄUDE erhalten, Kolosse von Gebäuden — auch sie ein wichtiges Zeugnis aus Rastatts Vergangenheit, jedoch längst nicht so ansehnlich wie die Torbauten, mit netten Details, hier und da wenigstens. Von den gewaltigen Wällen jedoch, den Schanzen so weit das Auge blickte, findet sich nur noch wenig.
Die Abtragung der riesigen Massen aber war mit erheblichem Aufwand verbunden und so verwundert es nicht, dass manches doch liegen blieb — alleine ohne besondere Pflege, angeschüttet, überwuchert bedarf es zumeist eines archäologischen Blickes um sich daran zu erfreuen. Das nicht ferne Germersheim, eine Stadt in Rheinland-Pfalz, wie Rastatt eine mächtige Bundesveste des 19. Jahrhunderts, hat ihre Festungsreste, welche einst beinahe ganz unter Anschüttungen verborgen, in den 1980er Jahren sorgsam wieder freigelegt und restauriert, gar zu einer echten Touristenattraktion herausgeputzt. Dergleichen würde man auch Rastatt anraten, alleine in Zeiten da alle Kassen wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag auf bessere Tage sinnen, eine verlorene Hoffnung. Die Überreste aus Festungstagen, sie sind nicht mehr als ein kleines Detail der Stadtgestalt.
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Wie wenig Anziehungskraft die Stadt nach der konsequenten Schleifung der Bollwerke besaß, erzeigte sich an einer mauen Gründerzeit, welche gerade in allen Städten Badens in vollem Gange. Städte, gleich Rastatt nur von niedriger Bebbauung wie Mannheim, Karlsruhe oder Baden-Baden tauschten die zwei- bis dreistöckigen Bürgerhäuser konsequent durch weit höhere Bauten im Stil des Historismus aus. In Rastatt dagegen geschah nur wenig — und was man heute dem Altstadtbild mit seiner zumeist niedrigen Bebauung dankt, riss damals natürlich niemand zu Begeisterungsstürmen hin. Die Stadt, sie drohte ein weiteres Mal ins Abseits zu geraten.
Da aber trat die Industrialisierung dazwischen. Mag man von ihr halten was man will, sie immerhin verschaffte der Stadt nach Marktflecken, Residenz und Festung die nunmehr vierte Identität, während ob der Automobilbranche bis auf den heutigen Tag. Eines jedoch vermochte die Industrialisierung keinesfalls, nämlich dem Ort Rastatt die neue Identität, wie den anderen zuvor, einen vortrefflichen (Residenz) oder zumindest ansehnlichen (Marktflecken, Festung) Ausdruck über die Baulichkeiten zu kreieren. Damit sind wir im 20. Jahrhundert angelangt, der Ära des Modernismus, welcher auch Rastatt überall ausufern lies, nirgendwo aber und ganz bewusst nicht unter ästhetischen Gesichtspunkten.
Fragt man für Rastatt nach dem bestimmenden Aussehen der Stadtgestalt so also tritt zweierlei in den Vordergrund. Zum einen die große Peripherie, jene Speckgürtel, die sich vor allem ab den 1950ern einer nach dem anderen um das historische Rastatt legten: eine Wüste, die man nur zum Arbeiten oder für Besorgungen betritt — ein Ungebilde, nicht hässlicher, nicht schöner als das allgegenwärtige Resultat des Modernismus, und, an den Rändern vollkommen undefiniert, wächst es tatsächlich gleich einem Krebsgeschwür in gesundes Gewebe, die Wald- und Felderumgebung der Rheinebene.
Nur wenige kommen auf die Idee sich mit dieser konturlosen Anonymität zu identifizieren, was im Falle Rastatts zum Glück auch gar nicht notwendig. Im Zentrum nämlich wartet das zweite, eben die dargelegte barocke Identität aus residenzialen Tagen. Die alte Kapitale, das Ereignis einer Planstadt, dicht beieinander alle sie auszeichnenden (und ausgezeichneten) Gebäude, das Versailles im Kleinformat, angefressen zwar, aber noch sehr gut erkennbar — ihrer ursprünglichen Funktion zwar seit Jahrhunderten entkleidet, jedoch nicht ohne unter dem Strich eine kleine, aber feine Stadtgestalt zurückgelassen zu haben. Das ist das Bild, mit dem sich Rastatt nach außen gerne schmückt — zu recht!
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Quellen 1) die Bauwerke selbst - Stilmerkmale; Stadt und Landschaft
2) Dr. Emil Lacroix und Dr. Heinrich Niester "Kunstwanderungen in Baden", Chr. Belser Verlag Stuttgart, Ausgabe 1959
3) Homepage www.rastatt.de
4) örtliche Informationstafeln
5) Informationsbroschüren der Stadt, bzw. des Schlosses
6) Kupferstich aus "Großherzogthum Baden in malerischen Originalansichten"
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